Feuerstein-Ausrüstung mit Handicap
An Ötzis Feuersteingeräten ablesen, womit er beschäftigt war: in geradezu detektivischer Spürweise ermittelte ein Forscherteam um die Archäologin Ursula Wierer weitere Details aus Ötzis letzten Lebenstagen und -stunden.
Für einen Jäger der Kupfersteinzeit hatte Ötzi nur das allernotwendigste dabei: zwei Pfeilspitzen für 14 Pfeilschäfte, einen Dolch mit sehr gekürzter Schneide und abgebrochener Spitze, einen Kratzer und einen Bohrer. Und natürlich den weltweit einzigartigen Retuscheur, mit dem der Mann aus dem Eis seine Feuersteingeräte nachschärfte. Das interdisziplinäre Wissenschaftsteam konnte genau nachweisen, wofür Ötzi seine Geräte einsetzte: er hatte damit zuletzt Pflanzen wie Sumpfgras und weiches Holz geschnitten. Manche Abschläge waren frisch nachgeschärft, aber noch nicht wieder verwendet, also bereit für weitere Tätigkeiten, zu denen er aber nicht mehr kam.
Wie es aussieht, fehlte es Ötzi bereits seit geraumer Zeit an wertvollem Feuerstein-Rohstoff, den er von weit her bezog: die Steine seiner Ausrüstung stammen aus dem Trentino zwischen dem heutigem Veneto und der Grenze zur heutigen Lombardei. Die nächstgelegene Abbaustätte für eine seiner Pfeilspitzen befindet sich am Nonsberg (Luftlinie gut 80 km vom Fundort der Mumie).
Er reparierte und schärfte seine vorhandenen Steinmesser, Spitzen und Ahlen immer wieder nach, aus Mangel an Nachschub fast bis zum Ende ihrer Verwendbarkeit. Vermutlich bereitete ihm dies nicht wenig Stress – war ihm doch vermutlich ein Verfolger auf den Fersen, mit dem er schon 1-2 Tage vorher eine Auseinandersetzung hatte, die mit einer tiefen Stichwunde an der rechten Hand endete.
Dass Ötzi ein Rechtshänder war, konnte das Forschungsteam übrigens ebenfalls herausfinden. Sie untersuchten dazu die Abschlagrichtung der Feuersteinklingen.
Das Fazit des archäologischen und naturwissenschaftlichen „Detektiv“-Teams: Ötzi, ein verletzungsbedingt gehandicapter Mann auf der Flucht mit zur Neige gehender Feuersteinausrüstung.