Bozen, 01.04.2019
“LOST & FOUND – Archäologie in Südtirol vor 1919”
Sonderausstellung im Südtiroler Archäologiemuseum von 2.4 bis 17.11.2019
Die Anfänge der archäologischen Forschung in Südtirol liegen in der Zeit vor 1919. In den Jahrhunderten, die dem ersten Weltkrieg vorangehen, waren südlich der Alpen unzählige archäologische Funde ans Tageslicht gekommen. Viele von ihnen gelangten in private Sammlungen oder Museen außer Landes und wurden damit unerreichbar. Für die Sonderschau durchforstete das Südtiroler Archäologiemuseum Museumsdepots in aller Welt und trug bemerkenswerte und wertvolle Objekte aus dem heutigen Südtirol zusammen. Die meisten dieser Funde sind zuvor noch nie ausgestellt worden. Einige davon waren sogar der Archäologie unbekannt.
Zur Sonderausstellung erscheint ein umfangreich bebilderter Katalog.
Provenienz
Die Erinnerung an den Vertrag von Saint-Germain (10.9.1919) und der damit verbundene Übergang Südtirols zu Italien veranlasste das Südtiroler Archäologiemuseum, weltweit nach Objekten zu suchen, die vor 1919 im südlichen Teil von Alttirol ausgegraben wurden. Das Ergebnis der Recherche war überraschend umfangreich und vielfältig. Die beiden Kuratoren der Sonderausstellung, Andreas Putzer und Günther Kaufmann, beide Archäologen am Südtiroler Archäologiemuseum, wählten knapp 1000 archäologische Funde mit eindeutiger Provenienz aus alten Museumssammlungen in Südtirol, dem Trentino, aus Österreich, aus Museen in Bayern, Berlin und Heidelberg, Hamburg, Moskau, England sowie aus einem Museum in Nordamerika. Die meisten dieser Funde sind dem lokalen Publikum noch nicht bekannt; einige sind sogar für die archäologische Forschung neu.
Objekte und Ausstellung
Die Gründe und die Wege, über welche archäologische Funde aus Südtirol in die verschiedensten Sammlungen gelangten, sind teils abenteuerlich, oft auch nicht mehr nachvollziehbar.
Was bleibt, ist ihre historische Bedeutung: die für die Sonderausstellung ausgewählten Objekte illustrieren eindrücklich das ganze Spektrum an handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten der lokalen Bevölkerung, die zwischen dem 4. Jahrtausend vor Christus (Neolithikum, Kupfer- und Bronzezeit) über die Eisen- und Römerzeit, sowie über das Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert nach Christus am Südrand der Alpen siedelte oder dort ihre Einflüsse hinterlassen hat.
Im Zentrum der Sonderausstellung stehen die wiederentdeckten Funde. Angelehnt an die historischen Schausammlungen des 19. Jahrhunderts werden sie nach ihrem aktuellen Aufenthaltsort geordnet gezeigt.
Einige herausragende Beispiele:
Im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg gibt es mehrere Ankäufe aus „Tirol“ und „Südtirol“. Vom Antiquar Alois Überbacher in Bozen wurden 1890 eine römerzeitliche (2.-3. Jh. n. Chr.) Radfibel und ein römerzeitlicher (1.-4. Jh. n. Chr.) Schlüssel sowie 1894 eine ostgotische (Ende 5./Anfang 6. Jh.) Gürtelschnalle und ein merowingerzeitliches (6.-8. Jh. n. Chr.) Langschwert (Spatha) angekauft. Eines der schönsten Ausstellungsstücke überhaupt ist die goldene Scheibenfibel mit Filigrandrahtzier und Schmucksteinen des späten 10./frühen 11. Jh.s. All diese Funde waren bisher unbekannt.
Sicher spektakulär ist die Wiederentdeckung des endbronze-/früheisenzeitlichen Beiles (11.-9. Jh. v. Chr.) aus Prettau im British Museum. Dieses Beil galt bisher als verschollen. Darüber hinaus entdeckten die Kuratoren, ebenfalls im British Museum, ein weiteres eisenzeitliches (7.-6. Jh. v. Chr.) Beil aus Branzoll neu, von dem man bisher überhaupt nichts wusste.
Auch die beiden in Berlin (Museum für Vor- und Frühgeschichte) neuentdeckten Segelohrringe aus dem 6. Jh. v. Chr. von Säben werfen ein neues Streiflicht auf die Vorgeschichte der Burghügels von Säben. Die Eisenzeit war dort noch nicht so umfangreich dokumentiert.
Auch der Umfang der Sammlung Frankfurth im Milwaukee Public Museum war bislang unbekannt. Diese Funde sind nun erstmals in Europa zu sehen.
Die Funde aus römerzeitlichen Gräbern von Salurn, die sich im Castello del Buonconsiglio in Trient befinden, werden ebenfalls zum ersten Mal gezeigt.
Im Zeitraum der Ausstellung wieder sichtbar ist der römerzeitliche Mithras-Stein aus Mauls (3. Jh.), der eine bewegte Reisegeschichte von Sterzing über Wien nach Bozen hinter sich hat und im Südtiroler Archäologiemuseum aufbewahrt wird.
Ein eigener Bereich der Sonderausstellung ist drei umfangreichen Grabungskomplexen vorbehalten, die vor 1919 aufgeteilt oder ins Ausland verkauft worden waren. Ein Großteil ihrer Bestandteile konnte rekonstruiert und zum ersten Mal wieder zusammengeführt werden: der eisenzeitliche Brandopferplatz vom Hochbichl in Dorf Tirol (Milwaukee (USA), Innsbruck) sowie die beiden eisenzeitlichen Metallfundkomplexe in Obervintl (Innsbruck, Trient, Rovereto, Bozen) und Greifenstein (Berlin, Moskau).
Das Design der Sonderausstellung spiegelt mit seinen Transportkisten und dem Verpackungsmaterial die akribische konservatorische Tätigkeit und den Transport von Kunstgegenständen wieder, welchem die Objekte immer wieder ausgeliefert waren und heute – auf weit schonendere Art – noch immer sind.
Ihre aktive Rolle in der Dokumentation antiker Funde führen die im Folgenden vorgestellten historischen Persönlichkeiten posthum auch in der aktuellen Sonderausstellung weiter. Animierte Bilder zitieren aus ihren Reiseberichten und erläutern ihr Studium archäologischer Funde auf dem Gebiet des heutigen Südtirol. Persönliche und unterhaltsame Geschicke und Missgeschicke bei ihrer Forschungstätigkeit werden den Ausstellungsgästen dabei nicht verschwiegen.
Die Südtiroler Archäologie vor 1919 und ihre Pioniere
Bei der systematischen Erhebung archäologischer Denkmäler aus Südtirol spielten einzelne, federführende Persönlichkeiten eine Rolle. Durch ihr Interesse an Altertumskunde brachten sie antiken Objekten Wertschätzung und Forschungsinteresse entgegen.
Die Anfänge der Archäologie in Südtirol begannen im 16. Jahrhundert durch Johann Turmair, genannt Aventinus (1477-1534), der auf seiner Studienreise durch Italien römische Weihesteine beschrieb. Das Interesse für römische Kulturgüter wird im 17. bzw. 18. Jahrhundert von Anton Roschmann (1694–1760) fortgeführt, indem er weitere archäologische Funde in Südtirol dokumentierte. Weit vor ihren Zeitgenossen verweist er auf die Notwendigkeit, Kulturgut zu retten, zu konservieren und zugänglich zu machen. Seine detaillierten Objektzeichnungen helfen noch heute dabei, in Südtirol zutage gebrachte archäologische Funde zu identifizieren.
In der Folge der Napoleonischen Kriege wurde die Erforschung von Natur und Geschichte zu einer „vaterländischen“ Aufgabe, die zu Bildungszwecken allen Wissenschaftlern und Interessierten in Museen zugänglich gemacht werden sollte. Durch die Besinnung auf die eigene Kultur und Tradition kam es auch im Kronland Tirol zur Gründung von Museumsvereinen, später zur Errichtung erster Museen. Träger dieser neuen Museen waren das Bürgertum und der Beamtenadel. Unter der Schirmherrschaft des Thronfolgers Erzherzog Ferdinand entstand in Innsbruck 1823 das „Tiroler Nationalmuseum Ferdinandeum“. Als Reaktion auf die als zentralistisch empfundene Sammlungstätigkeit in Innsbruck entstanden an der Alpensüdseite eigene Museen und Bibliotheken: 1851 in Rovereto, 1856 in Trient, schließlich 1882/1905 in Bozen, 1900 in Meran und 1901 in Brixen mit jeweils eigener archäologischer Sammlung.
Von der allgemeinen Sammelleidenschaft wurden auch Private angesteckt. 1850 versuchte eine k.u.k. „Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale“ mit ehrenamtlichen Beamten, den sog. Konservatoren, lokale Kulturgüter zu erhalten – allerdings mit wenig Unterstützung. Oft finanzierten sie archäologische Grabungen aus eigener Tasche. Diese Situation kam finanzkräftigen Hobbyforschern entgegen, die als Gegenleistung für Grabungen gern prestigereiche Objekte mitnahmen. 1818 waren zwar Bestimmungen eingeführt worden, die Ausfuhr und Verkehr von „Kunstwerken und Seltenheiten“ mit einem Vorkaufsrecht für das österreichische Kaiserreich regeln sollten, blieben de facto aber wirkungslos. So hatten Kunsthändler leichtes Spiel und bedeutende eisenzeitliche Metallfundkomplexe wie jene von Obervintl und Greifenstein wurden verkauft und oder gingen ins Ausland.
Der Ausbruch des I. Weltkriegs und der Kriegseintritt Italiens im Frühsommer 1915 unterbrach die archäologischen Bemühungen. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von St. Germain-en-Laye bei Paris am 10. September 1919 gingen die Gebiete von Südtirol und Trentino an Italien. Damit war die historische Archäologie des Kronlandes Tirol beendet. Die Siegernation Italien verlangte eine Rückerstattung von Kulturgütern, die schließlich mit dem österreichisch-italienischen Kunstabkommen vom 4. Mai 1920 geregelt wurde. Österreich verpflichtete sich darin, alle Kulturgüter aus staatlichem Besitz zu restituieren. Von dieser Regelung waren allerdings Funde ausgenommen, die vor 1790 in kaiserlichen Besitz gelangt oder von privaten Sammlern erworben worden waren. Im Spätsommer 1921 begann die Rückgabe archäologischer Funde aus Südtirol und dem Trentino an Italien.
KATALOG
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog zur Entstehung und Entwicklung der Archäologie im Kronland Tirol. Neben wissenschaftlichen Beiträgen, die den derzeitigen Forschungsstand widergeben, sind die ausgestellten Funde und Fundkomplexe einzeln beschrieben und abgebildet.
Kaufmann, Günther und Putzer, Andreas (Hg.): „Lost & Found. Archäologie in Südtirol vor 1919. Schriften des Südtiroler Archäologiemuseums 6 (2019). Verlag: Athesia-Tappeiner.
ISBN 978-88-6839-424-0. Verkaufspreis: ca. 35 €.
AUSSTELLUNGSBESUCH
Tickets und Führungen sind buchbar unter Tel. (0039) 0471 320100, info@iceman.it oder online unter https://www.iceman.it/de/webticket-fragen/
RAHMENVERANSTALTUNGEN
Kuratorenführungen in der Sonderausstellung am 10.4. und 8.5.2019
mit Günther Kaufmann, Konservator am Südtiroler Archäologiemuseum am Mittwoch 10.4.2019 um 17.30 Uhr (in deutscher Sprache).
Mit Andreas Putzer, Archäologe am Südtiroler Archäologiemuseum am Mittwoch 8.5.2019, 17.30 Uhr (in italienischer Sprache).
Die Führung ist jeweils im Museumseintritt enthalten. Ort: Südtiroler Archäologiemuseum, Bozen, Museumstr. 43
Archäologische Exkursion zum Sinichkopf, dem ersten in Tirol entdeckten Ringwall.
Samstag, 1.6.2019, 15-18 Uhr
mit Günther Kaufmann, Konservator am Südtiroler Archäologiemuseum
Von Meran ging das Ringwall- und Entdeckerfieber aus; die Wallburgenforschung hat hier ihren Anfang genommen. Diese sollte die Archäologie in Südtirol lange Zeit dominieren und nachhaltig beeinflussen.
Die Rundwanderung führt vom Talboden (270 Hm) auf die 530 Hm hohe Erhebung des Sinichkopf mit Ausblick auf den Zusammenfluss von Etsch und Falschauer. Voraussetzungen: Trittsicherheit und gutes Schuhwerk. Die Veranstaltung findet bei jedem Wetter statt. Teilnahme kostenlos, jedoch nur nach Anmeldung bis 30.5.2019 unter Tel. 0471 320145 (Bürozeiten). Bei der Anmeldung wird auch der Treffpunkt mitgeteilt.
1919 & Hugo – Aperitif im Museum
jeden 1. Dienstag im Monat von August bis Oktober 2019 um 17.30 Uhr
(6.8. / 3.9. / 1.10.2019)
Kurzführung in der Sonderausstellung „LOST & FOUND – Archäologie in Südtirol vor 1919““. Anschließend Aperitif.
Eintritt & Aperitif: 9,00 Euro p.P. Einlass/Treffpunkt: 17.30 Uhr. Reservierung nicht nötig. In deutscher und italienischer Sprache.
Interaktive Führungen in der Sonderausstellung für Oberschulen (50 min.). Details unter https://www.iceman.it/de/schule/#vermittlungsformate
Weitere Veranstaltungen finden Sie im Veranstaltungskalender des Museums
WIR DANKEN DEN LEIHGEBERN
Amt für Bodendenkmäler der Autonomen Provinz Bozen, Antikensammlung – Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Archäologisches Institut in Heidelberg, Bischöfliches Institut Vinzentinum in Brixen, British Museum London, Castello del Buonconsiglio Trento, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Fondazione Museo Civico di Rovereto, Kunsthistorisches Museum in Wien, Milwaukee Public Museum, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Museum für Vor- und Frühgeschichte – Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Palais Mamming Museum Meran, Stadtmuseum Bozen, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck und Ufficio Beni Archeologici della Provincia Autonoma di Trento.
IMPRESSUM „LOST & FOUND. Archäologie in Südtirol vor 1919“
Gesamtleitung: Angelika Fleckinger
Ausstellungskuratoren: Andreas Putzer, Günther Kaufmann
Ausstellungsdesign: Formbar Laurin Kofler, Lukas Mayr, Farbfabrik Philipp Putzer
Ausstellungsbauten: Haidacher
ABBILDUNGEN
www.iceman.it/de/medienarchiv/
Fotos mit Impressionen aus der Sonderausstellung © Südtiroler Archäologiemuseum/manuelatessaro.it
Die Verwendung der Abbildungen ist für Pressezwecke honorarfrei.
Das Fotografieren ist ausschließlich zur aktuellen Berichterstattung über die Ausstellung erlaubt.
PRESSEKONTAKT
Katharina Hersel
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