Ötzis Tätowiertechnik im Selbstversuch
Ötzi, der Mann aus dem Eis, trägt auf seinem Körper insgesamt 61 Tätowierungen: schwarze Striche und Kreuze, zumeist an Gelenken, an der Wirbelsäule, an den Waden, einem Handgelenk und auf dem Brustkorb. Sie sind alle an Stellen angebracht, die ihm vermutlich Schmerzen verursacht haben: durch Gelenksabnutzungen, Bandscheibenprobleme, Gallensteine etc. In der Forschung hat sich deshalb die Ansicht durchgesetzt, dass Ötzis Tätowierungen nicht wirklich als Körperschmuck dienten, sondern eine Art Schmerztherapie darstellen.
Unklar ist jedoch, mit welcher Technik die Tätowierungen angebracht wurden. Bisher wurde angenommen, dass Ötzis Haut mit Silex aufgeritzt wurde und Asche aus Holzkohle hineingerieben wurde.
2022 haben sich vier professionelle Tätowierer an einen wissenschaftlich begleiteten Selbstversuch gewagt: Der Tätowierkünstler Danny Riday von The Temple Tattoo in New Zealand ließ sich in Zusammenarbeit mit den Tätowierfachleuten Benoit Robitaille, Aurélien Burlot und Maya Sialuk Jacobsen unter Verwendung von acht verschiedenen Werkzeugen in vier verschiedenen Tätowiertechniken ein immer gleiches Motiv auf sein Bein tätowieren.
Ein Jahr später wurden die geheilten Tätowierungen begutachtet und mit Fotos von Ötzis Tattoos verglichen. Nach Ansicht des Teams deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, dass Ötzis Tätowierungen durch manuelles Stechen mit einem einspitzigen Werkzeug entstanden sind, „wahrscheinlich mit einer Knochen- oder Kupferahle“, vermutet der Archäologe Aaron Deter-Wolf, Erstautor der Studie und Experte für antike Tattoos an der bundesstaatlichen Division of Archaeology in Nashville, Tennessee, USA.
Die Autoren sind sich bewusst, dass sich das Experiment auf frischer menschlicher Haut nur annähernd mit dem Zustand der Original-Mumie vergleichen lässt (Mumifizierung, Verlust der Epidermis, 5000 Jahre vs. 1 Jahr). Dennoch sind sie davon überzeugt, dass ihr experimentalarchäologisches Projekt dazu beitragen kann, das bisherige Verständnis alter Tätowiermethoden zu erweitern und künftige archäologische Werkzeugfunde auch auf ihre Verwendung als Tätowierinstrument zu überdenken.
Ötzis Tätowierung ist bislang eine der ältesten bekannte. Sie deutet aber darauf hin, dass es sich bereits zu seiner Zeit um eine komplexe und weit verbreitete Fertigkeit handelt.
Die experimentalarchäologische Studie wurde im European Journal of Archaeology veröffentlicht.
Foto:
Fertige Tätowierungen, am Tag ihrer Erstellung (links) und nach sechs Monaten Heilung (rechts).
Obere Reihe, vlnr: Single bone point hand tapped; Copper awl hand poked; Obsidian incised; Bone needle subdermal.
Untere Reihe, vlnr: Boar tusk comb hand tapped; Modern steel needle hand poked; Bone point hand poked; Obsidian hand poked.
(c) Danny Riday in: Deter-Wolf, A. / Riday, D. / Sialuk Jacobsen, M.: Examining the Physical Signatures of Pre-Electric Tattooing Tools and Techniques. In: EXARC Journal Issue 2022/3, fig. 5.